Medienbericht in Geo
BEHINDERTENHILFE - Ferngespräch per Augenzwinkern
Dank eines neuen Computersystems können schwerbehinderte Menschen Geräte des
täglichen Lebens fernsteuern: durch kleinste Bewegungen
aus GEO 01/97 (S. 169)
Das Elisabethinum in Axams
Lampen, die auf Kopfnicken leuchten und verlöschen,
Musik, die auf Wimpernschlag erschallt, eine Modelleisenbahn, die auf Zuruf
hält: Was im Behindertenzentrum "Elisabethinum" im Tiroler Axams eingeweiht
wurde, könnte den Phantasien des Computermoguls Bill Gates entsprungen sein.
In diesem Raum scheint fast der bloße Wille zu genügen, um etwas zu bewegen.
Doch nicht der Traum von menschlicher Allmacht wurde in dem Förderzentrum
umgesetzt.
Das "Autonom" Projekt
Das neue computergestützte Assistenzsystem soll vielmehr
helfen, menschliche Ohnmacht zu lindern: "Autonom" ermöglicht es
Körperbehinderten, ohne komplizierte Handgriffe Elektrogeräte zu steuern, die
Beleuchtung zu regeln, ihr Bett zu verstellen, das Telefon zu benutzen.
Elektronik ersetzt die geschwächte Motorik: Speziell angepaßte Sensoren
reagieren auf einfache Bewegungen und geben diese an einen tragbaren Computer
weiter, der über einen Infrarotsender die entsprechenden Geräte bedient. "Das
Gefühl, anderen zur Last zu fallen, ist für viele Körperbehinderte das größte
Problem", erklärt Christian Flachberger von der Technischen Universität Wien,
der gemeinsam mit Paul Panek das Projekt leitet. Mit Hilfe von "Autonom"
könnten, so hoffen die Ingenieure, Schwerbehinderte bald viele Handgriffe
selber erledigen, für die sie normalerweise stets eine Pflegeperson in Anspruch
nehmen müßten. Die Gewißheit, selber etwas bewirken zu können, baue sogar
mögliche Spannungen zwischen Behinderten und Pflegern ab. Der Clou des Systems
liegt in der Kombination hochsensibler Empfangsgeräte mit einem
Bildschirm-Menü, das die Betreuer am Computer auf die Bedürfnisse des Benutzers
einstellen können. Über diverse Symbole auf dem Bildschirm - "Licht an" oder
"Licht aus" und "Fenster auf" oder "Fenster zu" - wandert unablässig ein
Markierungsrahmen. Je nach Fähigkeiten des Behinderten werden unterschiedliche
Sensoren an den Computer angeschlossen - etwa ein kleines Röhrchen, das ein
Pusten registriert, auch ein Bewegungssensor, der auf Blinzeln oder auf die
Neigung des Kopfes reagiert. "Prinzipiell läßt sich für jede Behinderung ein
angepaßter Sensor entwickeln", sagt Flachberger. So existiert bereits ein
Armbeugungssensor oder auch ein in einem Kissen ver-packter Schalter, den
motorisch behinderte Menschen durch "Schlagen" bedienen können, ohne sich zu
verletzen. Der jeweils erregte Impuls wirkt wie ein Mausklick: Er hält den
wandernden Rahmen an der gewünschten Stelle auf dem Bildschirm fest und löscht
damit etwa die Zimmerbeleuchtung - oder aktiviert auch ein Unterprogramm: Mit
einer einzigen Bewegung "surft" der Benutzer dann durch das Computersystem und
kann zahlreiche Geräte in seiner Umgebung bedienen. Auch einen sogenannten
"Sprachsynthesizer" haben die Ingenieure integriert: Auf dem Bildschirm wandert
der Markierungsrahmen Über die Buchstaben des Alphabets, aus denen der Anwender
per Bewegungsmelder Worte kombinieren kann. Diese wandelt der Rechner in
Sprache um. Damit kann dann sogar ein sprachbehinderter Mensch mit seiner
Umwelt kommunizieren und etwa telefonieren. Zehn schwerbehinderte Jugendliche
testen zur Zeit die neue Technik. Manche zappen schon per Kopfnicken durch die
Fernsehkanäle, anderen gelingt es, einen Modelleisenbahnzug zu starten. "Für
mich ist meine Behinderung an und für sich kein Problem mehr", erklärt eine
25jährige, die gelähmt und stumm ist. Sie macht inzwischen mit Hilfe der
elektronischen Assistenz ihr Abitur. An das Infrarot-Interface könnte in nicht
allzu ferner Zukunft auch ein Haushaltsroboter angeschlossen werden, der die
Wohnung putzt oder das Essen kocht. Bereits 1997 soll eine transportable
Version von "Autonom" in Serie gehen, die problemlos an einen Elektrorollstuhl
zu montieren ist. Über Infrarotimpulse könnte sie die Elektronik in einem
entsprechend ausgestatteten Haus steuern. Noch steht aber nicht fest, ob die
Krankenversicherungen die Kosten für ein solches System übernehmen - hier gibt
es unterschiedliche Regelungen in den Ländern Europas. Und die Technik muß, wie
Flachberger betont, maßvoll eingesetzt werden: "Sie kann zwischenmenschliche
Hilfe nicht ersetzen, sondern allenfalls ergänzen."